Don Quixote

Das Ballett und der Roman
Anja Eisner

Einem Choreographen auf der Suche nach einem Sujet für seine nächste Ballettkreation muss bei der Begegnung mit dem Roman von Cervantes das Herz höher schlagen: Der Roman bietet an sich wandelnden Schauplätzen im Freien, in wunderschöner Natur, auf pulsierenden Straßen und in prächtigen Innenräumen einzelne, überschaubare Geschichten, die sich um einen Haupthelden, sagen wir, um zwei Haupthelden, ranken. Ihr Weg durch die spanische Gesellschaft macht deren Typik sichtbar, da die Helden als dialektisches Paar sich daran reiben: Don Quixote, der idealistische Träumer, und Sancho Pansa, der unverbesserliche Realist. 

   Der Choreograph kann aus dem Roman nach Belieben (der Schriftsteller ist die erforderliche Anzahl von Jahren auch schon tot) Episoden entnehmen und sich ein Ballett DON QUIXOTE schaffen. 
   Würde der - wie gesagt - vor langer Zeit verstorbene Romancier die Möglichkeit haben, auch nur auf das berühmteste Ballett zu schauen, das nach seinem DON QUIXOTE entstanden ist, so würde sich seine Begeisterung wahrscheinlich in Grenzen halten. Das Ballett erzählt am Beispiel der fast scheiternden Heirat von Kitri (bei Cervantes: Quiteria) und Basilio die Art und Weise, wie Don Quixote sich in die Gegenwart einmischt. 
   Die Grundgeschichte des Balletts geht auf eine der vielen, vielen Episoden zurück, die alleine der zweite Teil des Romans enthält. Diese Grundgeschichte wird mit einigen der schönsten Begebenheiten auf dem Weg der beiden fahrenden Ritter ausgeschmückt. 
   Sicher ist es - bei aller Reichhaltigkeit an optischem Material – gerade für ein Ballett außerordentlich schwer, es mit Cervantes aufnehmen zu wollen. Zu raffiniert sind der Humor und gerade sprachliche Feinheiten, derer sich der Autor bedient. Folglich baut das Ballett von vornherein auf völlig andere Stärken und macht sich in vielerlei Hinsicht vom großen Vorbild ganz frei. 
  Was bei Cervantes als ein Gespräch, als ein Entschluss geschrieben sein kann, entsteht im Ballett durch „action". So kann Quixote seinen Nachbarn im Roman als Diener anheuern, weil er ihm Reichtümer verspricht, im Ballett wird Sancho zum Knappen, da ihn Quixote bei einer Schlägerei rausgehauen hat. 
   Während der Idealist aus dem Roman davon träumt, dass er eines Tages das Mädchen aus Toboso als seine Dulcinea glücklich machen wird, sieht der Ballett-Quixote sein Idealbild mehrfach ganz handfest vor sich: Er vergleicht Kitris Schönheit nicht mit Dulcinea, sondern er hält die eine für die andere und handelt daher für sie.
In der Heiratsepisode geht es bei Cervantes um eine Bauernhochzeit. Der reichere Bauer erhält bei der Vergabe der unglaublich schönen und stolzen Bauerstochter Quiteria den Zuschlag. Im Ballett werden die Unterschiede zwischen den heiratswilligen Männern nicht mehr allein ökonomisch begründet. Basilio ist nun Barbier, Camacho ein Edelmann, und auch Kitri kommt nicht mehr von einem Bauernhof, sondern sie ist die Tochter eines Schankwirts. Diese Unterschiede sind optisch größer. 
   Eine große Aktion muss sich das Ballett entgehen lassen: Bei Cervantes gibt es den Hochzeitstag für Camacho und Quiteria. Bei diesem Fest nimmt sich Basilio (scheinbar) das Leben und bittet darum, für die wenigen Augenblicke, die ihm bleiben, mit der Braut getraut zu werden. Es geschieht, doch als der Schwindel gewahr wird, steckt Don Quixote, der sich auf die Seite der wahren Liebe schlägt, die Prügel ein. Doch wie solche verzwickten Worte tanzen? Also gelingt es dem Liebespaar im Ballett, vor der Hochzeit zu fliehen. 
   Die Windmühlen übrigens, die jeder kennt, lenken den Romanhelden keineswegs vom ihm zu Ehren gezeigten Puppentheater ab. Die Puppentheateraufführung hatte er sich mit einer Spende erkauft (weshalb es ihm sicher umso schwerer sein wird, dass man einer vermeintlichen Dulcinea so übel darin mitspielt), und das Windmühlenabenteuer ist bereits 23 Tage vorbei; es war sein erstes Abenteuer überhaupt!
  Auch die Ausruhphase im Wald wurde umgedichtet. Im Roman folgt sie einem Misserfolg Sanchos, doch der findet im Ballett nicht statt. Und der schöne Traum von einem nachgeahnten Arkadien wird im Roman für Don Quixote von einem Herzog inszeniert, der den Ritter wieder einmal foppt. Doch auch diese Geschichte hat im Ballett keinen Platz. Das geht dann schnell einem glücklichen Ende entgegen: Kitri und Basilio dürfen Eheleute werden, und Don Quixote darf sich freuen, daran nicht unschuldig zu sein. 
  Dass deutsche Romantiker diesem Ballett sehr nahe standen, ist klar: Quixote hat seinen aussichtslosen Kampf (gegen weitaus mehr Widerstände als Windmühlen) hier schon gewonnen. Und um das Erlebnis für die Theaterbesucher so angenehm wie möglich werden zu lassen, wurde auch am Ballett immer wieder gearbeitet: 
   1871 revidierte Minkus sein Werk selbst,  doch die entscheidendsten Veränderungen nahm 1900 der Choreograph Alexander Gorsky vor, dessen Fassung noch heute im Bolschoi und nun in Magdeburg getanzt wird. Er fügte in den ersten Akt einen Auftritt von Stierkämpfern und einer Straßentänzerin (mit Musik aus SORAJA) ein, und auch der 2. und 3. Akt wurden mit neuer Musik ergänzt. 
  Dem Ballett verhalfen die Bearbeitungen immer wieder auf die Bühne - und vielen Theaterbesuchern zu einer ersten Begegnung mit DON QUIXOTE.



Dieser Text ist ein Zitat aus dem Programmheft zum Stück

Premiere 29.09.2001

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